Kultur

Interview zu Würzburgs Top Weinlage am Stein

Weinbau und gelebte Weinkultur prägen die Region Franken. Der Würzburger Stein ist als eine der größten Einzellagen Deutschlands ein prominentes Aushängeschild der fränkischen Weintradition – und ihrer lebendigen Gegenwart. Das WUE|MAG traf zu diesem Thema Dr. Markus Frankl, Historiker und Experte für Fränkische Weinbaugeschichte.

Dr. Markus Frankl

WUE|MAG: Woher kommt denn der Name „Wein am Stein“?
Dr. Markus Frankl: Der Stein ist eine alte Würzburger Lagenbezeichnung. Früher gab es über 160 Lagennamen von einzelnen Weinbergsparzellen. Bereits im Mittelalter tritt der Name „Stein“ in Quellen auf, die im Stadtarchiv überliefert sind, so zum Beispiel in den Ratsprotokollen des 15. Jahrhunderts. Dort steht geschrieben, dass sich sogar der Würzburger Stadtrat um die Bestellung der Wege am Würzburger Stein gekümmert hat und nicht nur die Leute, die dort oben Weingärten hatten. Dies zeigt auch, dass der Würzburger Stein schon vor über 500 Jahren einen großen Stellenwert gehabt hat. Auch in der ersten „Lagenklassifizierung“ von 1644 lässt sich der Stein belegen. Dort sind die verschiedenen Einzellagen aufgeführt, die später im Rahmen der Flurbereinigung 1964 zusammengefasst wurden. Das ist beispielsweise der Schalksberg, Ziegenrück oder der Lindleinsberg. So verbirgt sich hinter dem Würzburger Stein, mit einer Rebfläche von gut 85 Hektar, heute eine der größten Einzellagen Deutschlands.

Wann und wie entstand das Top Weinanbaugebiet am Stein?
Dafür müssen wir nochmal einen richtigen Sprung in der Geschichte machen und 250 Millionen Jahre zurückgehen. Denn die Geologie des fränkischen Weinbaugebiets ist vom erdgeschichtlichen Zeitalter der Trias geprägt. Da hatten sich drei Bodenarten in Franken übereinander abgelagert: zuerst der Buntsandstein, obendrüber kam der Muschelkalk und zuletzt der Keuper.
Diese Schichten lagen eine lange Zeit so übereinander, bis es vor 30 Millionen Jahren zum Einbruch des Oberrheingrabens kam. Das kann man sich wie ein Stück Torte vorstellen, das zu lange in der Sonne steht. Irgendwann wird dieses krumm und kippt zur Seite weg. Und genauso haben sich die Steinschichten übereinander aufgestellt. Wenn man nun einen horizontalen Schnitt zieht, dann hat man auf demselben Bodenniveau drei verschiedene Bodenarten. Im Westen ist somit der Buntsandstein, im Maindreieck der Muschelkalk und ganz im Osten der fränkischen Weinbauregion der Keuperboden. Vor zwei Millionen Jahren kam dann noch der Main hinzu, der sich mit gewaltiger Kraft seinen Weg gebahnt und in Franken die für den Weinbau so bedeutenden Prallhänge geschaffen hat. Einer davon ist schließlich der vom Muschelkalk geprägte Würzburger Stein.

“Die Menschen in Franken können nicht nur, sie müssen stolz auf “ihren” Silvaner sein.”

Dr. Markus Frankl

Was macht den Wein vom Stein so besonders?
Das sind verschiedene Faktoren, die hier zusammenspielen. Zum einen ist es der soeben angesprochene Muschelkalkboden, der den tiefwurzelnden Reben eine optimale Mineralstoffversorgung erlaubt. Dadurch entstehen körperreiche, komplexe Weine, bei denen die Mineralität ganz deutlich spürbar wird. Reben sind Pfahlwurzler: Sie können somit sehr tief wurzeln, das merkt man zum Beispiel bei Trockenheit. Dann geht manchmal eine Spitze ganz tief nach unten und wandert sozusagen Richtung Wasser.
Was noch dazu kommt – und was den Wein so besonders macht, ist die
Tatsache, dass der Würzburger Stein ein bisschen muschelförmig – wie ein Hohlspiegel – ausgerichtet ist. Dies begünstigt die Sonneneinstrahlung. Daneben wirkt der Main am Bergfuß als Wärmespeicher und mildert so die Gefahr von zu großen Temperaturschwankungen ab.
Zudem kommt hinzu, dass gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Waldkuppe vom Würzburger Verschönerungsverein angelegt wurde. Diese wurde im Laufe der folgenden Jahrzehnte immer weiter ausgebaut, sodass heute nahezu die komplette Kuppe bewaldet ist und so auch die Reben vor Wind schützt.

Wie sind Sie zum Würzburger Stein gekommen?
Durch Theorie und Praxis. Wobei ich zugeben muss, dass ich zuerst Steinweine getrunken habe, ehe ich mich als Historiker und als zertifizierter Gästeführer Weinerlebnis Franken mit dieser faszinierenden Weinlage und ihrer Geschichte beschäftigt habe.

“Man genießt einen Wein mit all seinen Sinnen.”

DR. Markus Frankl

Wie genießt man guten Wein am besten?
Das ist eine ganz klassische Antwort. Man genießt einen Wein mit all seinen Sinnen: riechen, schmecken und fühlen. Das Mundgefühl ist etwas ganz Besonderes und natürlich auch der Sehsinn: Farbreflexe im Licht betrachten ist einfach etwas, was dazugehört. Man kann einen Wein sogar hören. Das mag vielleicht etwas abstrus klingen, aber wenn man einen Perl- oder auch Schaumwein hat, kommt einem aus dem Glas schon etwas entgegen.
Was jedoch ganz wichtig ist: Nehmen Sie sich Zeit für einen großen Wein. Man muss sich auf einen Wein richtig einlassen können. Und wenn man dem Wein im Glas etwas Zeit gibt, verändert er sich auch immer wieder aufs Neue. Zum Beispiel bei einem sogenannten Fränkischen Satz, der aus mehreren Rebsorten besteht, die gemeinsam in den Weinbergen stehen und gemeinsam gekeltert werden, sticht mal die eine, dann mal die andere Rebsorte hervor.

Welche Rebsorten gibt es am Stein?
Der Stein ist ein Spiegelbild der Rebsorten, die es in Franken gibt. Zumindest dahingehend, dass der Weißwein deutlich dominiert. Das ist in ganz Franken ebenfalls so. Wir haben über 80% Weißweine und weniger als 20% Rotweine in der Region. Vor allem sind am Stein Silvaner und Riesling gepflanzt, weil der Riesling als anspruchsvolle Rebsorte auch mit diesen idealen Voraussetzungen am Stein sehr gut zurechkommt. Über ganz Franken gesehen hat der Müller-Thurgau die Nase vorn vor dem Silvaner und dem Bacchus.
Am Stein gibt es konkret neben dem Silvaner noch den Riesling, Müller-Thurgau, Bacchus, Weißburgunder, Rieslaner, Gewürztraminer und Chardonnay. An Rotweinen gibt es Spätburgunder und einen kleinen Anteil Blaufränkisch.

Welche Rebsorten sind für Sie die besten?
Bei den Rebsorten möchte ich gar nicht unbedingt von gut oder schlecht
reden, denn jede Rebsorte hat einfach ihren eigenen Charme. Ob man ihn als Schoppenwein nimmt, oder ob es ein Essensbegleiter sein soll. Was für mich eine besonders interessante Rebsorte ist – und das sage ich jetzt nicht nur, weil es unter dem Claim „Franken – Silvaner Heimat seit 1659“ steht, ist aber einfach der Silvaner. Er ist im Endeffekt ein Alleskönner und
funktioniert vom einfachen Schoppenwein über einen schönen Speisebegleiter bis in das Spitzen-Segment hinein. Und schaut man sich nun die verschiedenen Bodenarten vom Buntsandstein, Muschelkalk und Keuper an, dann schmecken Sie bei jedem Silvaner die Herkunft.
Der Silvaner ist außerdem sehr vielseitig. Er kann im Edelstahltank oder auch im Holzfass ausgebaut werden, man kann ihn auch ins Beton- oder Muschelkalkgebinde legen.
Die Menschen in Franken können nicht nur, sie müssen stolz auf „ihren“ Silvaner sein. Vor allen Dingen haben wir nun im Jahr 2019 eine 360 Jahre lange Tradition des Silvaners in Franken und dieser deckt auch etwa 25% der fränkischen Rebfläche ab.
Dabei ist der Silvaner keine ursprünglich fränkische Rebsorte: er kommt eigentlich aus dem Donauraum, bis er 1659 nach Franken gekommen ist. Und nur sechs Jahre später lässt sich die erste Pflanzung am Würzburger Stein nachweisen.

Kann man den Stein zu Deutschlands Top Weinlagen zählen?
Der Stein ist ganz sicher eine der deutschen Top Lagen. Was einen Steinwein auszeichnet, wurde schon genannt. Den Mythos Stein machen aber noch weitere Faktoren aus: Eine volle Flasche des weltweit ältesten als trinkbar geltenden Weißweins ist ein 1540er Steinwein und befindet sich im Bürgerspitalkeller. Was noch einen großen Teil zu seinem Ruhm beigetragen hat, ist die literarische Rezeption des Steins – und da allen voran Johann Wolfgang von Goethe, der gesagt hat, dass er verdrießlich würde, wenn ihm sein Lieblingstrunk abginge.

“Man kann also definitv festhalten, dass der Jahrgang 2018 ein besonderer Jahrgang ist.”

Dr. Markus Frankl

Glauben Sie, dass sich der Weingeschmack des Silvaners in den letzten 200 bis 300 Jahren verändert hat oder hat der Weintrinker damals quasi einen ähnlichen Geschmack im Glas gehabt wie jetzt?
Damals gab es noch keinen sortenreinen Silvanerausbau. Heute kennt man es, dass es bestimmte Parzellen im Weinberg gibt und diese mit jeweils einer Rebsorte bepflanzt sind. Und das kommt dann auch in die Flasche. Zu der Zeit gab es jedoch den sogenannten gemischten Satz oder auch Mischsatz genannt. Da wurden dann Rotwein- und Weißweinsorten gemeinsam in einem Weinberg gepflanzt. Diese sind dann zur gleichen Zeit geerntet und gemeinsam gekeltert worden. Aber den Wein kann man nicht mit dem heutigen vergleichen. Erst im 19. Jahrhundert fing der sortenreine Weinbau an.

Welches ist Ihr Lieblingswein?
Einen einzigen Lieblingswein kann ich nicht benennen und werde das wahrscheinlich auch niemals können, da Wein einfach zu vielfältig ist. Und das ist auch gut so. Neben meiner Silvanerleidenschaft interessiere ich mich für alte, mitunter als ausgestorben geltende Rebsorten, die früher in den Mischsätzen angebaut wurden.

Wo in Würzburg kann man am gemütlichsten ein Gläschen Wein
genießen?

Da kann man wirklich aus dem Vollen schöpfen. Wenn man Steinweine kennen lernen will, aber auch auf der anderen Seit in einem Atemzug die ganze Bandbreite Frankens ausprobieren möchte, bieten sich die Vinotheken von Hofkeller, Juliusspital und Bürgerspital an.
Wenn man einen kurzen Aufenthalt in Würzburg hat, dann gehört schon fast zwangsläufig der Brückenschoppen auf der Alten Mainbrücke auf die To-Do-Liste. Das gehört einfach dazu. Und man hat von dort auch einen sehr schönen Blick.

Wie schätzen Sie den Weinjahrgang 2018 ein?
Man hatte den Jahrgang 2018 den ganzen Sommer ja schon sehr gehypt und bereits vom neuen Jahrhundertjahrgang gesprochen. Dabei hat man manchmal ein bisschen vernachlässigt, dass gerade der heiße Sommer die Winzer vor große Herausforderungen gestellt hat. Vor allem junge Rebanlagen hatten durchaus ihre Probleme, da die Wurzeln ihr Wurzelwerk noch nicht so tief austreiben konnten. Diese Rebanlagen mussten dann auch entlastet werden. Somit war das Trauben- und Laubmanagement etwas ganz, ganz Wichtiges dieses Jahr.
Was man jedoch über die Qualität sagen kann: Wir haben am Jahresende ein ganz gesundes und vollreifes Lesegut gehabt und es ist auch ganz sicher qualitativ ein überdurchschnittlicher Jahrgang. Man kann also definitiv festhalten, dass der Jahrgang 2018 ein besonderer Jahrgang ist.
Man konnte außerdem, was für diese Besonderheit ebenfalls spricht, den frühesten Blühbeginn verzeichnen, den es jemals gegeben hat! Ab etwa Pfingsten herrschten hohe Temperaturen und die Niederschläge fehlten, mit einigen lokalen Unterschieden, nahezu flächendeckend. Frühreife Rebsorten hatten mit diesem Witterungsverlauf zu kämpfen, spätreife Sorten dürfen zu den Gewinnern gezählt werden. Durch die Witterungsverhältnisse blieben Schädlinge und Krankheiten weitgehend aus. Am Ende standen der früheste jemals verzeichnete Lesebeginn und Abschluss der Weinlese.

“Nehmen Sie sich Zeit für den Wein, man kann sich mit dem Wein nämlich kleine Auszeiten gönnen.”

Dr. Markus Frankl

Ein paar leckere Träubchen bei einem Spaziergang durch die Weinberge naschen: Ist das ok oder ein No-Go?
Die Frage lässt sich schnell und kurz beantworten: es ist ein absolutes No-Go! Wer Trauben vom Stock nascht, begeht genau genommen sogar einen Diebstahl. Wenn man während der Weinlesezeit auf einem Spaziergang ist und man an einer netten Lesegruppe vorbeikommt, die einem ein paar Trauben anbietet: dann jederzeit! Überzeugen Sie sich davon!
Aber dann dürfen Sie sich natürlich nicht wundern, wenn man drauf beißt, dass da Kerne drin sind. Es sind halt keine Tafeltrauben, sondern
Keltertrauben. In den Kernen sind Bitterstoffe drin, deswegen ist manch einer dann verwundert, dass die gar nicht so süß sind.

Was möchten Sie den Würzburgern noch mitteilen?
Nehmen Sie sich Zeit für den Wein, man kann sich mit ihm nämlich kleine Auszeiten gönnen. Ein kleiner Tipp sowohl für Gäste als auch für alteingesessene Würzburger, die mal etwas Neues in Sachen Wein erleben möchten, sind die öffentlichen Kellerführungen der drei großen Würzburger Weingüter an den Wochenenden. Da muss man sich auch nicht
anmelden und kann ganz spontan hinkommen. Dort bekommt man einen Wein, aber auch den Einblick in die moderne Weinbereitung.
Am Stein direkt gibt es ebenfalls jeden Samstag öffentliche Führungen, zum Beispiel vom Stein-Wein-Pfad e.V. entlang des Weinlehrpfads. Und zu guter Letzt gibt es noch die Gästeführer Weinerlebnis Franken. Sie gehen ganz individuell auf ihre Gäste ein. Dort können Sie an Weinbergswanderungen teilnehmen und bekommen ganz besondere Eindrücke von der gesamten Kulturlandschaft.

Neben Ihrer Historikertätigkeit, was machen Sie noch in dem Bereich Wein?
Neben der Beschäftigung mit fränkischer Weinbaugeschichte in Mittelalter und früher Neuzeit mit Publikationstätigkeit seit meiner Promotion im Jahr 2013 bin ich ehrenamtlich als stellvertretender Vorsitzender der Gästeführer Weinerlebnis Franken e.V. tätig. Also habe ich die Historikertätigkeit in den letzten Jahren ein bisschen hintenangestellt. Ich habe somit gewechselt und mein Hobby und meine Nebentätigkeit sozusagen zum Hauptberuf gemacht. Im April 2018 habe ich die Leitung der Vinothek im Juliusspital übernommen.

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